reisen-EXCLUSIV-Autor Harald Braun glaubte zu wissen, was ihn auf La Réunion im Indischen Ozean erwartete. Diese Fehleinschätzung bescherte ihm einen ausgewachsenen Muskelkater. Nur weil es die Nachbarinsel von Mauritius ist, sollte man den exotischen Vorposten Frankreichs eben nicht auf seine Traumstrände reduzieren …
Danielle klatscht aufmunternd in die Hände, als triebe sie ein paar Esel an: »Vite! Vite!«, ruft sie ungeduldig, »Schnell, schnell«, und scheucht uns raus aus den Strandliegen. »Wir müssen weiter! Auf den Vulkan, der ist gerade frei.« Es ist nicht so, dass wir eine feste Verabredung mit einem Naturschauspiel hätten. Was Danielle meint, ist Folgendes: Die Wolken rund um den knapp 3.000 Meter hoch gelegenen Piton des Neiges auf La Réunion haben sich gerade mal für einen Moment verabschiedet. Wenn wir uns sputen, können wir bei bester Sicht in den Krater absteigen.
Die Alternative ist, dass wir auch bei mieser Sicht da runtergehen und dann anschließend ein paar Stunden lang wieder hoch. Danielle ist kein Schönwetter-Guide, so viel steht fest. Dass wir auf diesen Tagesordnungspunkt völlig verzichten, ist jedenfalls keine Option. Danielle liebt Réunion, und sie ist wild entschlossen, uns ebenfalls zu bedingungslosen Fans der Insel zu machen. Dafür nimmt sie seit unserer Ankunft vor einer Woche auf der Insel im Indischen Ozean lässig in Kauf, dass wir sie ständig aufziehen: »Danielle, bist du sicher, dass du einen französischen Pass hast? Du bist deutscher als wir alle!«
Müßiggang ist nicht ihr Ding
Sie ist pünktlich, sie ist penibel, und Müßiggang ist selbst auf einer sonnigen Trauminsel wie La Réunion bei ihr nicht vorgesehen. Danielle stammt ursprünglich aus der Dordogne. Sie lebte lange in Paris und entschied sich dann irgendwann, dass Europa allein ihren umtriebigen Natur- und Freiluftbedürfnissen nicht mehr entsprach. Also machte sie eine Ausbildung als Fremden- und Wanderführerin auf La Réunion. Und nun lebt sie auf einer Insel, die politisch zwar zu Frankreich zählt und wie ein regionales Departement behandelt wird, deren Lebensumstände aber exotischer nicht sein könnten. Wir reden hier von der Nachbarinsel von Mauritius. Zusammen mit Rodrigues zählt sie zu den sogenannten Maskarenen-Inseln.
La Réunion – schon der Name klingt nach Urlaub, nach Sonne, nach Strandidylle. Und das stimmt so weit ja auch. Das wäre allerdings auch schon die Stelle, an der Danielle energisch widersprechen würde:
»Man darf sich Réunion nicht so vorstellen wie Mauritius. Die Insel ist viel abwechslungsreicher!«
Ihre Kinderstube verbietet ihr zu behaupten, dass Mauritius im Vergleich zu La Réunion stinklangweilig sei, auch wenn sie genau das meint. »Da drüben kann man heiraten und am Strand liegen«, meint sie ein wenig spöttisch und neigt den Kopf Richtung Meer dahin, wo sie Mauritius verortet, »aber bei uns kann man eine tolle, abwechslungsreiche Zeit haben und sich dabei auch noch wirklich spüren!«
La Reunion ist im Gegensatz zum flachen Mauritius eine bergige Vulkaninsel
Wir wissen jetzt, was sie damit meint, denn wir haben Muskelkater. Im Gegensatz zum flunderflachen Mauritius handelt es sich bei La Reunion um eine bergige Vulkaninsel. Zwar gibt es auf der Westküste (vor allem auf der Höhe von St. Gilles) auch rund 40 Kilometer feinste Sandstrände und die dazugehörigen Luxusresorts, doch die Urlauber, die sich in den französischen Vorposten im Indischen Ozean begeben, wollen oft nur eines: Natur. Besser gesagt: Wandern in der Natur.
Und seitdem die Unesco die Nationalparks auf La Réunion 2010 in die Liste ihres Welterbes aufgenommen hat, kommen immer mehr von ihnen. Was sie hier vorfinden, nahm seinen Anfang vor rund drei Millionen Jahren, als der eingangs erwähnte Piton des Neiges vor Madagaskar durch den Meeresgrund brach und aus dem Indischen Ozean auftauchte.
Mithilfe von tropischen Regenstürmen bildete er drei ausgefranste bizarre Krater, die heute so etwas wie den Mittelpunkt der Insel Réunion darstellen: Sie heißen Cirque de Cilaos, Cirque de Salazie und Cirque de Mafate, und wer an lustigen Grenzerfahrungen auf zwei Beinen interessiert ist, sollte einmal versuchen, diese Krater innerhalb von nur einer Woche zu durchwandern.
Hey, nicht dass ihr das falsch versteht: WIR haben das gar nicht erst versucht. Wir sind lediglich mit dem Helikopter über La Réunion geflogen, um uns einen etwa 30-minütigen Eindruck von der Pracht und Weite dieser Krater zu verschaffen. (Und die Strände haben wir natürlich auch wohlwollend wahrgenommen …) Uns blieb der Mund offen stehen, wenn man das so platt sagen darf: Gegen diese Wälder, Gesteinsformationen und Wasserfälle nehmen sich europäische Wanderdestinationen wie Korsika oder Gomera (um nur zwei zu nennen) aus wie Spielzeugnachbildungen an einer Märklin-Eisenbahn. Schon von oben betrachtet hatten die Krater »Grand Canyon«-Format. Ein Eindruck, der sich bestätigen sollte, als dann auch wir eine Zweitagestour per pedes in Angriff nahmen …
Wären wir nur besser trainiert gewesen!
»Das sind nur zwei Stunden bis auf eine kleine Hütte«, hatte Danielle unsere Wanderung in den Krater von »Mafate« angekündigt, »und danach hüpfen wir noch einmal kurz den Berg hinunter und übernachten in einem Gîte!« (So eine Art kreolisches Gegenstück zu einer Berghütte.)
Klar, man kann das tatsächlich in zwei Stunden schaffen. Wir hätten nur ungefähr so gut trainiert sein müssen wie die Jungs, die uns im wilden Galopp bergaufwärts überholten, allein vom Luftzug hätten wir uns eine Lungenentzündung einfangen können. Wir erfuhren später, dass in ein paar Tagen der »Le Grand Raid« stattfinden würde, auch bekannt unter der Bezeichnung »die Diagonale der Verrückten«.
135 Kilometer bergauf und bergab
Bei dieser Veranstaltung versuchen ein paar austrainierte Irre, die Insel in kurzen Hosen im Laufschritt zu durchqueren, 135 Kilometer bergauf und bergab – zu überwinden sind etwa 8.000 Höhenmeter. Ultramarathonläufer der internationalen Klasse schaffen das in knapp 20 Stunden, wer nur »überleben« will, hat 62 Stunden zur Verfügung, die er sich begleitet vom anfeuernden Johlen der Inselbewohner erlauben darf. Aus aller Welt kommen jedes Jahr so etwa 2.500 Sportler auf die Insel, und natürlich ist auch Danielle schon einmal mitgelaufen …
Der »Raid« ist so etwas wie ein hoher Feiertag auf der Insel; ungefähr gleichzusetzen mit einem der regelmäßigen Vulkanausbrüche, für die La Réunion berühmt ist. Der Piton des Neiges gibt zwar seit 12.000 Jahre Ruhe, doch dafür brodeln ja noch ein paar jüngere Kollegen und sorgen dafür, dass die Straße, die zum Nordteil der Insel führt, immer wieder neu gebaut werden muss, weil mal wieder Lavaströme bis ins Meer geflossen sind.
Infos, Anreise, Unterkunft
Info. Fremdenverkehrsamt der Insel La Réunion, c/o ATOUT France, Zeppelinallee 37, 60325 Frankfurt, Tel.: 069 97590494.
Anreise. Am besten mit Air France via Paris nach St. Denis de la Réunion.
Hotel. Le Saint Alexis: Vier-Sterne-Hotel mit unschlagbarem Mix aus europäischem Spitzenservice und kreolischem Charme. 44 Route de Boucan-Canot, 97434 Saint-Gil- Les-les-Bains, Tel.:+262 262 244204.
Designhotel: Palm Hotel and Spa. Grand Anse, 97429 Petite-Ile, Tel.: +262 262 56 30 30.