In voller Beleuchtung ziehen nachts Großstädte fast unbemerkt am Fenster vorbei. Natur zeigt sich mal in sattem Grün, mal in sandigem Steppenbeige. Der Blick aus dem Zugfenster hinaus in die Welt ist stets im Panoramamodus und wird begleitet von Begegnungen im Innern des Zuges. Von Erlebnissen auf Schienen erzählt die britische Journalistin Monisha Rajesh wunderbar lebhaft in ihrem jüngst veröffentlichten Buch »In 80 Zügen um die Welt«. reisen EXCLUSIV-Autorin Simone Sever hat sie – Seite für Seite – begleitet.

Irgendwie sitze ich mit im Abteil als Monisha Rajesh und ihr Verlobter Jem im Eurostar um 14:31 Uhr den Bahnhof St. Pancras in London Richtung Paris verlassen. Es ist der Beginn einer Reise eines 70.000 Kilometer langen Abenteuers auf Schienen. Um so richtig in Reiselaune zu kommen und meine europäische Komfortzone zu verlassen, brauche ich allerdings 23 Züge und ähnlich viele Seiten, um in Moskau einzufahren.

In 80 Zügen um die Welt: Die Zugreise beginnt am St. Pancras Bahnhof in London

Willy Barton/ Shutterstock.com

Ich muss gestehen, ich fahre eher selten mit dem Zug und das trotz meiner Flugangst. Aber unter uns, ich träume davon, irgendwann einmal an der Bar im Orient-Express, dem Belmond Royal Scotsman oder der Transsibirischen, die übrigens, so lerne ich im Buch, eine Route und kein Zug ist, Platz zu nehmen und je nach Zielort einen White Russian oder Gin Tonic zu bestellen. Am besten, während der Zug tagelang durch das riesige russische Reich fährt, das übrigens so groß ist wie die Oberfläche des Nicht-mehr-Planeten Pluto, aber das nur nebenbei bemerkt.

Belmond Royal Scotsman fährt durch Landschaft Schottland

Belmond Royal Scotsman

Hitze in Sibirien

Die real erlebten Zugmomente der Autorin finden allerdings nicht unbedingt an der schicken Zugbar statt, sondern mittendrin im Trubel der Abteile. Gern auch mal bei nicht funktionierender Klimaanlage, etwa in der Hitze Sibiriens. Zwischen Moskau und Irkutsk hält der Zug »an etwa 80 Stationen« lässt Monisha ihre Leser teilhaben. Ich kann mir ein Bild machen von den russischen Bahnstationen: »äußerst hübsch: pfefferminzfarben gestrichen mit weißen Umrandungen und alten Uhrentürmen«, beinahe zeitgleich habe ich den Geruch von »in Papier gewickeltem geräucherten Omulfisch, einer regionalen Spezialität« in der Nase. Die szenischen Reiseerzählungen sind informativ, immer erfahre ich nebenbei auch etwas zur Geschichte, zu lokalen Besonderheiten, zu Landschaft und Leuten. Zugfahrten, die nicht langweilig werden.

Einheimische sitzen in Zug in Tibet und zeigen sich Handyvideos

Marc Sethi

Vielreisende, die gern in Reiseerzählungen anderer schwelgen, werden ihre wahre Freude am Wiedererkennungswert haben. In Peking, der chinesischen 21,5-Millionen-Megametropole erkenne ich mich selbst in den Exkursionen zur Verbotenen Stadt, der Chinesischen Mauer und den Hutongs. Frau Rajesh spricht mir aus der Seele und gibt meinen inzwischen leicht verblassten Erinnerungen neue Farbe. Auch den Westbahnhof kenne ich von einer eigenen Zugreise durch das Reich der Mitte.

Westbahnhof in Peking bei Nacht

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Höllenverkehr in Hanoi

»Der schrecklichste Straßenverkehr herrscht definitiv in Hanoi«,

erkennt die Weitgereiste genau wie ich überraschenderweise in Vietnam. Während ich mich einst von einer lokalen Studentin an die Hand nehmen ließ, um die gefühlt fünf Millionen Zweiräder auf Hanois Straßen zu überleben, entscheiden sich Monisha und ihr Verlobter für Glaube und Hoffnung. Das scheint wirkungsvoll, denn beide schaffen es unbeschadet auf die andere Straßenseite. Der nächste Zug wartet bereits, und das Buch hat noch nicht mal den Mittelpunkt erreicht.

In 80 Zügen um die Welt: Autorin schaut aus Zugfenster auf die Landschaften in Lhasa, Tibet

Marc Sethi

Mit jedem Kapitel, mit jeder Zugnummer, jeder neuen Geschichte, wird das Paar aus London mehr und mehr zu sympathischen Reisekumpanen, die man tatsächlich auf irgendeiner der Zugfahrten irgendwo auf unserem schönen Planeten hätte kennenlernen können.

Zug zum Flug

Kambodscha, Thailand, Myanmar … mal »scheppert, quietscht, jault der Zug«. Schlängelt sich über Brücken und wird am River Kwai zur »fahrenden Gedenkstätte«. In Japan bringt der Sakura Shinkansen, der Schnellzug, die Reisenden nach Hiroshima, wo die Leichtigkeit der Reise erneut den Atem anhält.

Japanischer Schnellzug Sakura Shinkansen fährt an Mount Fuji vorbei

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Von Tokio nach Kanada fährt noch kein Zug. Das könnte sich aber bald ändern, schenkt man der staatlich kontrollierten »China Daily« Glauben. In einem Artikel, so informiert Monisha, stand, dass die Chinesen über die Technologie zum Bau eines 200 Kilometer langen Unterwassertunnels für Personenzüge von China nach Nordamerika verfügten. Vorerst heißt es aber noch Zug zum Flug.

Kontrastprogramm

Der »Canadian« verbindet Vancouver im Westen und Toronto im Osten. 4.460 Kilometer und die ganze Palette kanadischer Landschaftsmalerei: Rocky Mountains, Jasper National Park, Saskatoon, Sioux Lookout … und dann auch noch in der Sleeper-Plus-Klasse und einem eigenen Abteil.

Frau und Mann erledigen Höhenkrankheit während einer Zugfahrt in Tibet

Marc Sethi

Im »Amtrak« durch die Vereinigten Staaten und schon wartet das Kontrastprogramm, für mich einer der spannendsten Abschnitte der Reise: Nordkorea. Die Erlebnisse meiner neuen Freunde fesseln mich, machen mich neugierig auf ein Land, das bislang nicht wirklich auf meiner Da-muss-ich-unbedingt-noch-hin-Liste stand, schüchtern mich aber auch ein kleines bisschen ein. Ebenso wie die Höhenkrankheit, die die beiden in Tibet leiden lässt. Reisen an die entferntesten Orte, ist nicht immer ein Zuckerschlecken – oder doch? Im Nachhinein sind das ja irgendwie auch die besten Geschichten.

Monisha und ihr Verlobter Jem nehmen uns mit in 23 Länder und geben dem Leser die Möglichkeit, auf Menschen zu treffen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Es lohnt Monisha Rajesh kennenzulernen und ihre »Hommage an das Reisen mit dem Zug« in einem Zug zu verschlingen.

»In 80 Zügen um die Welt« von Monisha Rajesh, Edel Books, ISBN: 978-3-8419-0705-9, €17,95


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